Deregulierung – Öffnung der europäischen Luftverkehrs-Märkte?

Im Rahmen der Vollendung eines europäischen Binnenmarktes wurden auch die europäischen Luftverkehrsmärkte liberalisiert. Anders als in den Vereinigten Staaten vollzog sich der Wandel in mehreren Schritten weit weniger radikal und über einen deutlich längeren Zeitraum (Fichert, 2004, S. 92 f.). Mit dem dritten Liberalisierungspaket vom 01.01.1993, spätestens aber mit der Freigabe der für den Lufttransport wichtigen Binnenkabotage im Rahmen der “Siebten Freiheit“, gilt die Liberalisierung seit dem 01.04.1997 als vorerst abgeschlossen. Durch die Regelungen der Europäischen Kommission sind quasi sämtliche Restriktionen, die Privatisierungen und ergebnisoffenen Marktprozessen entgegenstehen, beseitigt worden (Hartwig, 2004, S. 292). Nunmehr gelten Marktzugangsbeschränkungen (Betriebsgenehmigungen, Streckenzugang), Kapazitätsrestriktionen und Tarif- und Preisbindungen als aufgehoben und haben für einen weitgehend verzerrungsfreien Wettbewerb im europäischen Luftverkehr gesorgt (wie der Eintritt der Low-Cost-Carrier im Personenluftverkehr belegt).[1] Zudem gilt auch die Nationalitätenklausel formell als aufgehoben. Unternehmen jeden Mitgliedstaates ist es gestattet, in einem anderen Mitgliedsstaat eine Fluggesellschaft zu gründen oder zu erwerben (vgl. Pompl, 2002, S.404 ff.; Becker, 1999, S. 20 ff.; Doganis, 2002, S. 66 ff.; Jäckel, 1993, S. 192). Ferner ist seit 2003 der ungehinderte Marktzugang zu den Bodenabfertigungsdiensten[2] ermöglicht worden (Becker, 1999, S. 21; Pompl, 2002, S. 442 f.).

 

Jedes noch so liberale Gesamtkonzept marktwirtschaftlicher Prägung kommt jedoch ohne staatliche Intervention zur Sicherstellung eines funktionsfähigen Wettbewerbsumfeldes nicht aus. Dies gilt insbesondere bei Vorliegen netzspezifischer Marktmacht durch monopolistische Bottlenecks, die u. a. für zahlreiche Flughäfen der EU nachgewiesen werden können. Aus den wettbewerbsverzerrenden Wirkungen von Marktmacht wird ein Regulierungsbedarf abgeleitet, bei dem sich insbesondere das Price-Cap-Instrument aufgrund seiner Anreizwirkung und Effizienzsteigerung empfiehlt (Knieps, 2004, S. 231 f., Beckers et al, 2002, S. 43).[3] Ein wesentliches Problem ergibt sich dann, wenn der Zugang zur Verkehrsweginfrastruktur beeinträchtigt ist. Das derzeitige Vergabeverfahren für Start- und Landerechte (Slot) nach dem Großvaterprinzip[4] stellt nach gängiger Auffassung eine erhebliche Barriere für den Eintritt neuer Fluggesellschaften dar und stärkt somit die nach wie vor geltende Dominanz nationaler Flag Carrier (Pompl, 2002, S. 449, Hüschelrath, 1998, S. 61).

 

Somit offenbaren sich trotz weit reichender Verbesserungen des Wettbewerbsumfeldes immer noch Schwächen, aus denen ein erheblicher Handlungsbedarf abgeleitet wird. Den Unzulänglichkeiten der gegenwärtigen nicht diskriminierungsfreien Slot-Vergabepraxis wird versucht über eine Abschwächung des auch Vorteile aufweisenden Großvaterprinzips zu begegnen. Hüschelrath (1998, S. 124. ff.) nennt hierzu die bereits praktizierte “use-it-or-lose-it“-Regelung sowie weitere Modifikationen, die Einschränkungen der Gültigkeitsdauer, strengere Auflagen und Slotkonfiskation vorsehen können. Weimann (1998, S. 147 ff.) führt zusätzlich die grundsätzliche Möglichkeit administrativer Umverteilung, Auktionen und Lotterien an.

 

Auch im Bereich der Privatisierung bestehen nach wie vor Defizite. Mit Ausnahme von Großbritannien, Finnland, Spanien, der Niederlande und der Bundesrepublik halten alle EU-Staaten mehr oder minder große Anteile an ihren nationalen Carriern (Pompl, 2002, S. 454). Der schleppende Prozess konsequenter Reduzierung staatlicher Beteiligungen resultiert, so wie es Hartwig (2004, S. 288) formuliert, aus den Befürchtungen ohne ein eigenes Luftfahrtunternehmen zum „Objekt fremder Interessen zu werden“ und die Anbindung an den internationalen Luftverkehr zu verlieren. Protektionismus und Prestigedenken konservieren die Zersplitterung des europäischen Luftverkehrsmarktes welches zu allokativem Marktversagen und Überkapazitäten führt. Die wettbewerbsverzerrende Wirkung wird insbesondere dadurch deutlich, dass ökonomisch notwendige Marktbereinigungen mit Austritten ineffizienter Unternehmen durch umfangreiche staatliche Beihilfen verhindert werden (Vahrenkamp 2005, S. 273 f.; Hartwig, S. 284 ff.; Pompl, 2002, S. 454 f.).

 

Sieht man von den genannten Problemen ab, erscheint der Flugverkehr innerhalb der Europäischen Union eigentlich alle Kriterien des freien Marktes zu erfüllen. Was für den Binnenluftverkehr so aussichtsreich anmutet, gilt für den außereuropäischen Luftverkehr nur begrenzt (Schenk, 2004, S. 120ff.). Hier unterliegen sämtliche europäischen Anbieter weiterhin dem Diktat bilateraler Verträge (wie z.B. die “Open Sky“-Abkommen mit den Vereinigten Staaten).[5] Nach Hartwig (2004, S. 293) belastet das regulatorische Regime bilateraler Luftverkehrsabkommen nicht nur den Wettbewerb und die Effizienz im globalen Luftverkehr, sondern beeinträchtigt auch indirekt den deregulierten innereuropäischen Luftverkehrsmarkt. So räumen die an Open-Sky teilnehmenden Mitgliedstaaten amerikanischen Luftverkehrsgesellschaften einseitig Verkehrsrechte nach, von und innerhalb der EU ein, um ihrerseits gleichzeitig ausschließlich nur ihren eigenen Fluggesellschaften Verkehrsrechte in die USA zu sichern (Schenk, 2004, S. 122). Darüber hinaus bleiben Nationalitätenklauseln, also die Untersagung grenzüberschreitenden Mehrheitseigentums und somit die “effektive Kontrolle“ durch Gebietsfremde, mit Drittstaaten bestehen, wodurch der Zugang zu ausländischem Kapital gerade kleineren und mittelgroßen Carriern versperrt bleibt (Schenk, 2004, S. 122; Hartwig, 2004, S. 294).

 

Um der Lösung des Problems näher zu kommen, wird seit den GATS 2000 –Verhandlungen versucht, die Liberalisierungsbestrebungen für Frachtdienste von den Schwierigkeiten im Bereich der Passagierverkehrsrechte abzukoppeln und isolierte Open-sky-Abkommen für den Frachttransport auszuhandeln. Problematisch bleiben allerdings die mehr oder weniger zu Recht eingebrachten Einwände, dass von solchen Regelungen Wettbewerbsdiskriminierungen gegen die Belly-Carrier ausgehen, deren Frachträume unteilbar mit dem Passagierverkehr verbunden sind. In erster Linie würden von einer solchen Regelung nur Expressdienstleister und reine Frachtfluggesellschaften profitieren (Zhang, 2002, S. 279 f.).

 


[1]           Ausnahmen hiervon bestehen hinsichtlich Streckengenehmigungen die mit gemeinwirtschaftlichen Pflichten verbunden sind, Konkurrenzschutz zugunsten neu aufgenommener Regionalflugverbindungen, Verkehrsbeschränkungen aufgrund von Umweltbelastungen oder bei Verkehrslenkungsregeln innerhalb eines Fughafensystems (vgl. Pompl, 2002, S. 428 und Jung, 1999, S. 44).

[2]           Für eine Übersicht vgl. Pompl (2002, S. 442).

[3]           Zur Darstellung des Verfahrens  vgl. auch Fritsch et al. (2003, S. 283 f., Knieps, 2005, S. 86 ff.,  Beckers et al, 2002, S. 43 ff.).

[4]           Verfahren mit einer “historischen Priorität“, bei dem die Slots jede Periode den Fluggesellschaften erneut zugeteilt werden, die diese in vorherigen Periode besessen haben.

[5]           2004 waren etwa 800 solcher Abkommen in Kraft. Nur 15 der 25 Mitglieder der EU verfügen derzeit über ein Open-Sky-Abkommen mit den USA. Vier weitere Länder und Großbritannien haben restriktivere Abkommen mit den USA, die anderen gar keine. Gegenwärtig (die nächste Verhandlungsrunde beginnt Ende April) wird über eine Ausweitung eines unbeschränkten Open-Sky-Abkommens verhandelt, welches EU-weit die Nationalitätenklauseln abschaffen und auch die 5. Freiheit den Airlines beider Parteien öffnen soll (www.tagesspiegel.de/wirtschaft/nachrichten/luft-verkehrs abkommen-eu-usa-open-sky/91113.asp, Abruf: 02.02.2007).