Marktmacht der Nachfrager
Um das Ausmaß der Marktmacht der Nachfrager genauer betrachten zu können, muss zunächst einmal bestimmt werden, wer überhaupt Nachfrager von Luftfrachtleistungen ist. Hierbei muss zwischen privaten und gewerblichen Nachfragern sowie Speditionen differenziert werden. Die Marktmacht der einzelnen privaten und gewerblichen Nachfrager ist dabei als gering einzuschätzen. Vielen Endkunden stehen nur verhältnismäßig wenige Anbieter gegenüber und eine vertikale Integration in den Luftfrachtmarkt ist aufgrund des betriebsfremden Know-hows und hohen Investitionen kaum zu erwarten (Schneider, 1993, S. 36). Die meisten Nachfrager, hauptsächlich private, klein- und mittelständische gewerbliche Kunden sind sich darüber hinaus über ihre spezifischen Transport- und Logistikbedürfnisse nicht im Klaren und kontaktieren hierfür einen Spediteur (Zondaag, 2006, S. 32 f.).
Speditionen stellen einen Sonderfall dar, da sie zum einen als Anbieter von Luftfrachtleistungen, zum anderen aber auch als Nachfrager auftreten, indem sie Frachtraum bei den Fluggesellschaften einkaufen, um diesen an den originären Luftfrachtnachfrager weiterzuvermitteln. Ihre Marktmacht muss zweifelsfrei als hoch eingeschätzt werden. Speditionen sind preissensitiv und verfügen, wie an späterer Stelle noch zu zeigen ist, über große Verhandlungsmacht. Dies wird u.a. damit begründet, dass die angesprochen Informationsasymmetrien hinsichtlich der Transportleistungen der Fluggesellschaften gering sind und sie überdies in einflussreichen Interessenverbänden wie der FIATA organisiert sind. Viel gravierender ist aber der in der Speditionsbranche anhaltende Konzentrationsprozess, der einzelne Unternehmen zunehmend größere Geschäftsvolumina kontrollieren lässt. Insgesamt werden über 90 % des Luftfrachtaufkommens von Spediteuren abgewickelt (Althen et al, 2001, S. 422). Der Rest wird im Direktvertrieb zwischen industriellen Großkunden und Fluggesellschaften abgewickelt und hat nur geringe Bedeutung. In der klassischen Luftfracht befinden sich die Fluggesellschaften praktisch also in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Absatzmittlern, was die Speditionen in die Lage versetzt, die Frachtraten zu drücken (Biermann, 1986, S. 221). Aufgrund von Überkapazitäten und der weitgehenden Homogenität der Transportleistung sind die Umstellkosten auf einen anderen Frachtführer gering, so dass Frachtführer für gewöhnlich schnell und leicht ersetzbar sind. Laut Vahrenkamp (2005, S. 289) ist eine Spedition nicht einmal verpflichtet, gebuchten Frachtraum auch tatsächlich zu nutzen und die entsprechende Gebühr dafür zu entrichten. Dies versetzt vor allem große Spediteure in die Lage, einzelne Airlines gegeneinander auszuspielen (“Preispokern“) (vgl. Bachmeier, 1999, S. 74).
Ob das Internet an der Situation etwas verändern kann, ist unklar. Bisher lässt sich nicht eindeutig bestätigen, dass der Direktvertrieb der Frachtkapazitäten von Airlines zugenommen hätte. Zwar haben viele Airlines Direktbuchungssysteme auf ihren Homepages eingeführt, inwieweit Endkunden von dieser Möglichkeit aber Gebrauch machen und es somit zu einer “Disintermediation“ der Luftfrachtspediteure kommen könnte, lässt sich z. Z. kaum seriös prognostizieren (Althen et al, 2001, S. 424, vgl. Klophaus, 2001, S. 306). Bei telefonischen Anfragen kann es derzeit jeweils nach wie vor sein, dass man an eine Partnerspedition verwiesen wird.[1]
Althen, Graumann und Niedermayer (2001, S. 424) gehen aber davon aus, dass die Möglichkeiten des Internets vielmehr die Position der Spediteure stärken könnte, da über die angesprochenen elektronischen Marktplätze wie z.B. GF-X der Wissensstand der Speditionen hinsichtlich der Transportleistungen der Fluggesellschaften steigen wird. De facto wird dies aber davon abhängen, wie viele Spediteure das Internet zum Buchen von Frachtkapazitäten auch ernsthaft nutzen werden. Augenblicklich beschränkt sich die Teilnehmerzahl der GF-X-Plattform auf 61 Airlines sowie auf insgesamt 31 Speditionen – 2001 waren es noch elf Spediteure und elf Fluggesellschaften. Das ist zwar schon deutlich mehr, repräsentiert aber kaum eine mehrheitliche Nutzung dieses Mediums. Nach einer Untersuchung der IATA aus dem Jahr 2000 haben nur 19 % der Luftfrachtspediteure Buchungen über das Internet vorgenommen (Vahrenkamp, 2005, S. 293). Dieser Anteil betrug nach Kaltenbrunner (2005, S. 42) auch im Jahr 2004 immer noch erstaunlich wenige 20 %, obwohl die Mehrheit der Spediteure von der Vorteilhaftigkeit des E-Bookings überzeugt ist (vgl. Kaltenbrunner, 2005, S. 42 ff und Schwarz, S. 1476 ff., 2004).
Rekapituliert man die gemachten Aussagen wird das Dilemma in dem die klassische Luftfracht steckt, schnell erkenntlich: Die Verhandlungsmacht der Speditionen kann sich negativ auf die Gewinnmargen der Fluggesellschaften und damit insgesamt auf die klassische Luftfracht, von dem die Luftfrachtspeditionen letztlich auch abhängig sind, auswirken. Die Schwächung der Wettbewerbsposition traditioneller Transportketten, bedeutet aber eine Stärkung der Wettbewerbssituation integrierter Systemangebote. Zu einem späteren Zeitpunkt wird diese Problematik erneut aufgegriffen werden.
[1] Persönliche Erfahrung des Verfassers dieser Arbeit nach Anruf der Cargo-Abteilung von Emirates vom 08.02.2007.