Schlussbetrachtung

Das weltweite Luftfrachtaufkommen wird bis zum Jahr 2025 durchschnittlich mit 5-7% pro Jahr wachsen. Der innereuropäische Luftfrachtverkehr wird mit 4-6% hingegen leicht unterdurchschnittlich wachsen. Ursächlich sind u.a. das relativ schwache Wirtschaftswachstum der europäischen Länder und der Umstand, dass aufgrund der relativ kurzen Distanzen und dem gut ausgebauten Straßennetz, Luftfracht in vielen Fällen leicht durch den Lkw-Transport ersetzt werden kann.

 

Die Veränderungen auf dem Luftfrachtmarkt werden dabei maßgeblich von den wirtschaftlichen, technischen und institutionellen Rahmenbedingungen beeinflusst. So sind infolge von Globalisierung und internationaler Arbeitsteilung weitgespannte, internationale Produktionsverbundsysteme entstanden, die auf Basis einer Just-in-time-Logistik schnelle und zuverlässige Transportlösungen erfordern. Die vollen Möglichkeiten der Luftfracht konnten dabei erst mit der technischen Ausreifung der eingesetzten Technologie erschlossen werden. So wurde durch Strahl- und Großraumfluggeräte Luftfracht bedeutend schneller und billiger. Mit vereinheitlichten Ladehilfsmitteln (ULDs) und großen Fortschritten in der Informations- und Kommunikationstechnologie kann Fracht heute bedeutend schneller gesteuert, kontrolliert und transparenter durch die gesamte Transportkette geschleust werden. Ihren größten Auftrieb hat die europäische Luftfracht zweifelsohne durch die Deregulierung der Luftverkehrsmärkte erfahren. In Europa ist mit Beseitigung nahezu sämtlicher Marktzutrittsbeschränkungen und Freigabe der Kabotage im Rahmen der siebten Luftverkehrsfreiheit der Weg für einen verzerrungsfreien Wettbewerb gelegt worden. Allerdings blockieren Protektionismus und Staatsdominanz innerhalb der Airlines weiterhin ökonomisch erforderliche Marktkonsolidierungen und internationale Expansionsstrategien. Auf wichtigen interkontinentalen Relationen verhindern zahlreiche bilaterale Luftverkehrsabkommen nach wie vor freien Wettbewerb.

 

Vor diesem Hintergrund konnten sich zwei Anbietergruppen von Luftfracht herausbilden. Während Airlines für einen “door-to-door“-Transport mit  Luftfrachtspediteuren kooperieren müssen, integrieren Expressanbieter ihre Leistungen in einer einheitlichen und ununterbrochenen Transportkette. Integratoren können ihre Leistungen dadurch kundenorientierter und vor allem mit kürzeren Laufzeiten anbieten. Ist traditionelle Luftfracht durch die Vielzahl unabgestimmter Schnittstellen durchschnittlich – genauso wie vor 30 Jahren – immer noch sechs Tage unterwegs, benötigen Sendungen bei den Integratoren nur drei bis vier Tage, innerhalb Europas vielfach nur 24 Stunden. Dabei erfolgt der Transport zu geringeren Preisen und für die Nachfrager mit einer deutlich höheren Transparenz. Mit diesem entscheidenden Wettbewerbsvorteil integrierter Transportketten konnten die Integratoren bedeutende Marktanteile zu Lasten der traditionellen Anbieter gewinnen.

 

Ordnet man die Angebote der verschiedenen Akteure in einen Produktlebenszyklus, so wird deutlich, dass sich die jeweiligen Geschäftsmodelle in verschiedenen Marktreifephasen befinden. Die traditionelle Transportkette der Airlines und Spediteure wird dabei langfristig nicht mehr als wettbewerbsfähig angesehen, während die Nachfrage nach integrierten und kompletten Logistiklösungen durch die Praxis des Outsourcings ganzer Logistikabteilungen globalisierter Unternehmen weiter ansteigen wird.

 

Auf Basis dieser Erkenntnisse konnte die Analyse der Wettbewerbssituation im europäischen Luftfrachtmarkt folgende Ergebnisse liefern:

 

(1)          Die Lieferantenmacht ist auch bei Einbeziehung der “Dienstleister Flughafen“ durch zunehmende staatliche Regulierung allenfalls als moderat zu bezeichnen.

 

(2)          Die Nachfrager verfügen aufgrund der starken Konzentration im Speditionsgewerbe und des an Überkapazitäten leidenden, stark zersplitterten Airlinemarktes über große Marktmacht gegenüber den traditionellen Fluggesellschaften. Die asymmetrische Machtverteilung führt zu einer abwärtsgerichteten Frachtratenspirale. Die negative Auswirkung auf die Ertragsituation der Fluggesellschaften schwächt dabei nicht nur die Wettbewerbsposition der Carrier, sie schadet darüber hinaus der gesamten Transportkette und stärkt die Position der Integratoren.

 

(3)          Mit der Deregulierung ist der Zugang zu den europäische Luftverkehrsmärkten vereinfacht worden. Die Kriterien eines “contestable market“ erfüllt der Luftfrachtmarkt indes nicht. Hohe Barrieren für den Zugang zu immateriellen Ressourcen wie attraktiven Start- und Landerechte (Slots) sind eine entscheidende Wettbewerbshürde.

 

(4)          In Europa kommt als spezielle Eigenschaft hinzu, dass kurze Entfernungen und gut ausgebaute Straßennetze den Lkw-Einsatz begünstigen. Der Zeitvorteil des Flugzeuges kommt erst ab Entfernungen von 1000 Kilometern zum tragen. De facto betreiben daher nur die Integratoren und Airlines wie Lufthansa und Air France mit zeitgarantierten Expresslieferungen regelmäßige Frachterflüge innerhalb Europas. Als Luftfracht deklarierter und tarifierter Road-feeder-Verkehr wird hingegen weiter ausgebaut werden, wobei dies insbesondere für Verbindungen in die osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten gilt.

(5)          Mit dem Eintritt der Integratoren in das Terrain der Standardfracht hat der intramodale Wettbewerb im Luftfrachtmarkt in jüngster Zeit eine neue Qualität erreicht, da die Integratoren nun dass Stammgeschäft der traditionellen Anbieter attackieren. DHL, UPS und auch Federal Express und TNT haben in den letzten Jahren mit der konsequenten Akquisition von großen und mittleren Speditionen begonnen und sich so das notwendige Know-how verschafft, um als ein “Full Service Provider“ die ganze Palette schneller Transportdienstleistungen von Brief und Paket bis hin zu Schwer- und Sperrgut anbieten zu können. Hierfür spricht nicht zuletzt die Übernahme der “kleinen“ Integratoren DHL und TNT durch Postgesellschaften.

 

Die Analyse der Wettbewerbsituation zeigt, dass ein intensiver Wettbewerb mit hoher Rivalität vorliegt, der zu einer Neupositionierung sämtlicher Akteure geführt hat – und solange noch nicht erfolgt – führen wird. Speditionen und Fluggesellschaften stehen vor der Herausforderung für ihre Kunden mehrwerthaltigere Logistiklösungen anzubieten. Die meisten Speditionen haben sich somit zu 3PL-Kontraktlogistikern entwickelt, die maßgeschneiderte Supply-Chain-Lösungen unter Umfassung aller Verkehrsträger beinhalten. Um ihre Wettbewerbsposition zu verbessern haben Airlines in den letzten Jahren, vergleichbar zum Passagierverkehr, globale Fracht-Allianzen gegründet. Dahinter steht die Erkenntnis zahlreicher Fluggesellschaften, dass ohne globale Präsenz die Anforderungen weltweit agierender Unternehmen nicht mehr erfüllt werden können und man mit einer “stand-alone“-Strategie wohl weiter an Boden gegenüber den Integratoren verlieren wird. Über horizontale Kooperationen können Märkte bedient werden, für die keine Verkehrsrechte bestehen, Investitionsrisiken verteilt werden sowie Synergieeffekte auf der Kostenseite erzielt werden.

 

Um mit den Integratoren konkurrieren zu können reichen nach allgemeiner Auffassung horizontale Allianzen jedoch nicht aus. Die systemimmanenten Wettbewerbsnachteile klassischer Transportketten werden daher über die engere Anbindung von Spediteuren an die Frachtallianzen zu lindern versucht. Solche vertikalen Kooperationen können aber nur erfolgreich sein, wenn es gelingt, ähnlich den Angeboten der Integratoren, mit einem gemeinsamen Marktauftritt Service “aus einer Hand“ anzubieten und die Reibungsverluste an den Schnittstellen zu reduzieren. Hierfür ist eine Angleichung der jeweiligen IT-Systeme ebenso unabdingbar wie eine weitere Harmonisierung und Standardisierung der Prozesse und Produkte aller an der Transportkette beteiligten Akteure.

 

Für die Zukunft ist zudem zu erwarten, dass der Konzentrationsprozess in der europäischen Airlineindustrie, der mit der Fusion von Air-France und KLM begann, langsam in Bewegung kommen wird. Kürzlich wurde verkündet, dass British Airways, drittgrößte Airline Europas, an einer Mehrheitsbeteiligung an der spanischen Iberia konkret interessiert sei. Zuvor wurde die Lufthansa längere Zeit als wahrscheinlicher Interessent vermutet. Lufthansa hatte bereits Swiss übernommen und sich erst kürzlich an einem Joint Venture beteiligt, dass unter dem Namen Jade Cargo vornehmlich den asiatischen und chinesischen Luftfrachtmarkt bedient. Im weltweiten Vergleich haben die europäischen Anbieter gute Ausgangspositionen. Die europäischen und weltweiten Speditionsmärkte werden von europäischen Logistikkonzernen wie DHL Global Forwarding, Schenker (DB Logistics), Kühne+Nagel und Panalpina dominiert. Lufthansa und Air France-KLM gehören im internationalen Luftverkehr zu den führenden Anbietern. DHL strebt im Paket- und Expresssegment in den meisten Märkten der Welt nach der Marktführerschaft. Mit interkontinentalen Partnerschaften sind zudem wichtige strategische Entscheidungen getroffen worden, die in Zukunft die Unternehmensentwicklungen nachhaltig bestimmen werden. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, wird für die europäischen Fluggesellschaften die Stabilisierung der Ergebnislage und eine stärkere Kostenkontrolle eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre darstellen.

 

Vor diesem Hintergrund gehen Kenner der Branche davon aus, dass der Konsolidierungstrend der Branche anhalten wird und am Ende wenige große Anbieter in globalen Allianzen formiert sein werden. Mit dem Ziel durch diese Partnerschaften weltweit systemorientierte Logistik anzubieten, wird außerdem klar, dass eine strikte Trennung zwischen Spedition und Fluggesellschaft  auf der einen Seite und Integrator auf der anderen Seite immer schwieriger aufrechtzuerhalten sein wird: In Zukunft werden nicht mehr einzelne Elemente der Transportketten zueinander im Wettbewerb stehen, sondern integrierte Netzwerke globaler Allianzen.